Die politischen Erfolge der AfD, insbesondere in ostdeutschen Bundesländern, werfen einen Schatten auf verschiedene gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche. Einer davon ist die Tourismusbranche – ein Wirtschaftszweig, der auf Offenheit, Toleranz und internationales Ansehen angewiesen ist.
Mit dem Aufstieg einer Partei, die oft mit rechtspopulistischen und migrationsfeindlichen Positionen assoziiert wird, gerät das Image ganzer Regionen ins Wanken. Immer häufiger berichten Betreiber von Pensionen und Hotels von Stornierungen, weil Gäste einen Urlaub in vermeintlich fremdenfeindlichem Umfeld meiden. Doch wie groß ist dieser Effekt wirklich – und welche Folgen drohen langfristig?
Konkrete Fälle: Wenn Gäste lieber fernbleiben
Ein besonders aufsehenerregender Fall ist jener der Betreiberin Anette Riehl aus Wittenberge in Brandenburg. In Interviews mit der Frankfurter Rundschau schilderte sie, dass ihre Buchungslage für den Sommer 2025 dramatisch eingebrochen sei. Zahlreiche Gäste stornierten mit dem Verweis auf die politischen Entwicklungen vor Ort – insbesondere wegen der starken Umfragewerte und Wahlergebnisse der AfD. Statt gut gefüllter Zimmer blickt Riehl auf eine leere Buchungsliste. Viele Gäste hätten sie direkt kontaktiert und erklärt, sie wollten nicht in eine Gegend reisen, in der „extremistische und intolerante Meinungen“ salonfähig seien. Vor allem bei Gästen mit Migrationshintergrund oder internationalem Hintergrund sei die Verunsicherung groß.
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch auf der Ostseeinsel Usedom, die zur Hochsaison eigentlich ein touristischer Magnet ist. Der Vorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbands Mecklenburg-Vorpommern, Lars Schwarz, berichtete gegenüber mehreren Medien von vereinzelten Stornierungen mit AfD-Begründung. Ein besonders drastisches Beispiel: Eine Familie mit „dunkelhäutigem Vater“ entschied sich gegen einen Aufenthalt in einem Ort mit besonders hoher Zustimmung zur AfD – aus Sorge vor Anfeindungen. Solche Geschichten verbreiten sich rasch, auch über soziale Medien, und haben das Potenzial, ganze Urlaubsregionen zu beschädigen.
Wirtschaftsfaktor Tourismus: Besonders bedeutend im Osten
Der Tourismussektor in Deutschland ist ein zentraler Wirtschaftsbereich. Laut dem Bundeswirtschaftsministerium generiert die Branche rund 105 Milliarden Euro Wertschöpfung jährlich und stellt über drei Millionen Arbeitsplätze bereit. Gerade in strukturschwachen ostdeutschen Regionen, etwa in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, ist der Tourismus oft der wichtigste Arbeitgeber. In Mecklenburg-Vorpommern etwa beläuft sich der touristische Jahresumsatz auf rund fünf Milliarden Euro; rund 173.000 Menschen arbeiten hier in der Branche.
Besonders dramatisch wäre ein Einbruch des Inlandstourismus auf der Insel Usedom: Mit rund 8,5 Millionen Übernachtungen im Jahr (bei nur 70.000 Einwohnern) zählt sie zu den Spitzenreitern in Deutschland. Sollte die politische Großwetterlage Gäste dauerhaft abschrecken, droht vielen kleinen Betrieben – insbesondere familiengeführten Pensionen – die Existenz.
Warnungen aus der Branche
Vor allem die Spitzenverbände der Branche zeigen sich zunehmend besorgt. Der Deutsche Tourismusverband (DTV) warnte bereits im Frühjahr 2025 öffentlich davor, dass ein rechtspopulistisches Image Deutschland als Tourismusziel nachhaltig schädigen könne. Verbandssprecher Norbert Kunz erklärte in einem Interview, dass die Tourismuswirtschaft auf Weltoffenheit, Internationalität und Toleranz angewiesen sei. „Wenn Menschen im Ausland das Gefühl haben, dass sie in Deutschland nicht willkommen sind, bleiben sie weg“, sagte Kunz. Diese Entwicklung könnte besonders Regionen treffen, die auf Gäste aus dem Ausland angewiesen sind – wie etwa das Elbsandsteingebirge, Berlin oder Rügen.
Auch Lars Schwarz von der DEHOGA MV ergänzte, dass die öffentliche Wahrnehmung oft entscheidender sei als reale Gefahrenszenarien. Zwar gebe es keine flächendeckenden Stornierungswellen, doch Einzelereignisse würden stark in Medien und sozialen Netzwerken verbreitet. So reiche ein einziger rassistischer Vorfall oder ein AfD-freundliches Statement eines Bürgermeisters, um das Image einer ganzen Region negativ aufzuladen.
Einzelfälle oder Trend?
Die Frage, ob es sich bei den berichteten Stornierungen um Einzelfälle oder um einen gesamtdeutschen Trend handelt, lässt sich derzeit nur schwer beantworten. Offizielle Buchungszahlen geben derzeit noch kein klares Bild. So erklärte der Brandenburger Tourismusverband auf Nachfrage, dass es bislang keine messbare Buchungsdelle gebe. Auch bundesweite Auswertungen zeigten keinen massiven Einbruch im Deutschlandtourismus – die Zahlen bleiben auf hohem Niveau, auch im Osten.
Doch die individuelle Entscheidung für oder gegen ein Reiseziel hängt immer auch von subjektiven Faktoren ab. Das politische Klima kann dabei zum entscheidenden Kriterium werden. Gerade jüngere und international geprägte Zielgruppen reagieren zunehmend sensibel auf politische Signale. Der Hamburger Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge erklärte jüngst in der taz, dass Tourismus längst nicht mehr nur eine Frage von Erreichbarkeit und Preis sei, sondern auch von Werten und Identifikation. Wer ein weltoffenes Lebensgefühl sucht, meidet Orte, die für das Gegenteil stehen.
Volkswirtschaftliche Risiken: Image als Standort in Gefahr
Auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht gibt es mahnende Stimmen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) warnte bereits 2024 in einer Analyse, dass eine Stärkung der AfD langfristig dem Wirtschaftsstandort Deutschland schade. Die wichtigsten Pfeiler des Erfolgs – Fachkräftezuwanderung, internationale Investitionen, EU-Zusammenarbeit – stehen im Widerspruch zur Programmatik der Partei. Wenn Regionen zunehmend als fremdenfeindlich gelten, wird es nicht nur schwieriger, Touristen zu gewinnen – auch Investoren und ausländische Fachkräfte könnten abgeschreckt werden. Gerade ländliche ostdeutsche Regionen sind auf beides besonders angewiesen.
Hinzu kommt: Die demografische Entwicklung in Ostdeutschland verlangt nach einer aktiven Ansprache internationaler Gäste und Beschäftigter. Ein politisches Klima, das Vielfalt nicht fördert, sondern abschreckt, gefährdet diese Entwicklungen massiv.
Reaktionen und Gegenstrategien
Einige Betriebe und Kommunen zeigen bereits Initiative. Die Betreiberin Riehl aus Wittenberge etwa setzt auf Transparenz und Dialog: Sie spricht das Thema aktiv an, betont ihre weltoffene Haltung auf Buchungsportalen und Social Media und lädt Gäste zum persönlichen Gespräch ein. Solche positiven Signale könnten das Vertrauen wiederherstellen.
Auf kommunaler Ebene gibt es erste Kampagnen zur Imagepflege, etwa unter dem Slogan „Gastfreundschaft leben“. Diese richten sich sowohl an Gäste als auch an Gastgeber und setzen auf sichtbare Zeichen von Vielfalt und Toleranz – beispielsweise durch Regenbogenflaggen, Mehrsprachigkeit und öffentliches Engagement gegen Extremismus.
Auch wirtschaftspolitisch gibt es Ideen: Tourismusbetriebe in betroffenen Regionen könnten durch gezielte Förderprogramme unterstützt werden – etwa durch Zuschüsse für Diversitäts-Workshops, Qualitätssiegel für Willkommenskultur oder durch Kooperationsprojekte mit Integrationsinitiativen.
Eine Branche unter politischem Druck
Der Erfolg der AfD mag für viele Wähler ein innenpolitisches Signal sein – für die Tourismusbranche jedoch ist er ein wirtschaftliches Risiko. Wo politische Intoleranz zunimmt, schwindet das Vertrauen vieler Gäste. Zwar lassen sich die wirtschaftlichen Folgen derzeit noch nicht flächendeckend messen, doch die Einzelfälle häufen sich – und mit ihnen wächst der Image-Schaden.
Für die Tourismuswirtschaft bedeutet das: Sie muss sich noch stärker als bisher als Botschafterin der Offenheit verstehen. Denn wo Gastfreundschaft endet, beginnt der wirtschaftliche Abschwung. Regionen wie Usedom, Wittenberge oder Rügen stehen exemplarisch für diesen Balanceakt. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob es gelingt, dem politisch aufgeladenen Klima mit klaren Zeichen für Vielfalt zu begegnen – oder ob das Image des gastfreundlichen Deutschlands Risse bekommt.