Schon der fünfte Tag! Die Zeit vergeht schnell, trotz der Ruhe oder wegen der Ruhe? Ich fühle mich jedenfalls sehr wohl. Ich habe wegen der 15 km und des vielen Auf- und Ab‘s etwas Muskelkater in den Beinen und ich merke an meinen Armen, dass der Einsatz meiner Wanderstöcke die Beine entlastet hat. Die Tour gestern war aber auf jeden Fall den Muskelkater wert. In dem Tal gab es ja alleine drei große und ein paar kleine Wasserfälle. Der Fluss hatte eine schöne Farbe und von den vier Brücken aus, konnte man seine Wildheit bewundern. Zum Schwimmen oder Boot fahren ist er zwar nicht geeignet, da die Strömung viel zu stark ist, aber es ist interessant ihm zuzuschauen.
Heute ist das Wetter nicht ganz so schön. Es ist bedeckt und etwas windig, ab und zu regnet es. Heute wollen wir sowieso keine Bergtour unternehmen, da wir von gestern noch etwas geschwächt sind und Iris und Karsten ein paar wichtige Dinge erledigen müssen. Die Hunde wissen allerdings nichts von Schwächung. Der Morgenspaziergang von „nur“ 40 Minuten Länge war wohl zu kurz. Andor sucht verzweifelt jemanden, der mit ihm spielt. Jetzt hat er Hunter davon überzeugt, dass ein Ringkampf das Richtige ist. Bald ist eine tolle Balgerei im Gange, mitspielen möchte ich aber nicht. Das geht mir doch ein bisschen zu wild einher. Nach einiger Zeit beendet Karsten den Kampf und die Hunde liegen ganz ruhig und brav neben uns. Sie scheinen aber jederzeit bereit zu sein, einen kurzen Spaziergang zu machen oder was noch besser wäre, zu einem Jagdausflug aufzubrechen. Es sind halt Jagdhunde, die sehr viel Auslauf und eine Aufgabe brauchen. Iris erzählte, dass Andor einer besonders lauf- und jagdfreudigen Zucht entstammt. Still liegen ist für ihn quasi eine Strafe, es sei denn, er ist mindestens 20 km gelaufen, dann braucht auch er mal eine Pause.
Anscheinend hat mich Andor mit seinem Bewegungsdrang angesteckt. Als am Mittag die Sonne herauskommt, zieht es mich nach draußen. Iris und Karsten wollen lieber die Ruhe in der Hütte noch ein wenig genießen, bevor sie dann mit den Hunden zu einer Trainingseinheit aufbrechen wollen.
Als ich sage, dass ich einen kurzen Spaziergang machen möchte, entgegnet mir Iris: „Brigitte, ich kenne Dich! Wenn du den Weg da oben siehst, willst Du ihn bestimmt gehen. Und wenn Du hier irgendwo hoch gehst, ist das immer eine Bergtour. Sonst musst Du unten am See entlanggehen.“
Ich gehe also um 12:10 Uhr los, meinen Rucksack mit einem Imbiss, Wasser und einer Regenjacke habe ich selbstverständlich dabei. Ich nehme die Straße, die zu den oberen Hütten führt. Hier gibt es einige sehr schöne und große Hütten und ich denke, dass die deutsche Übersetzung für Hytte (Hütte) der Wahrheit nicht entspricht. Also Hütten im deutschen Sinne sind das wahrlich nicht. Holzhaus oder Villa aus Holz würde es besser treffen. Manche sind so groß, dass eine Großfamilie darin Platz findet. Später erzählt mir Iris, dass einige Hütten Firmeneigentum sind, die vom Personal genutzt werden können.
Etwas später lasse ich die Hütten hinter mir und finde einen schönen Bergpfad. Iris hatte recht, ich muss ihn gehen, er sieht so vielversprechend aus. Wieder ein Weg nach meinem Geschmack. Kurze Zeit darauf sitze ich an einem kleinen Flusslauf mit Namen Tenla und genieße die Landschaft. Die Sonne scheint, das Flüsschen rauscht und ich erfreue mich wieder an der Freiheit. Ich bin dankbar, dass ich hier sein darf. Es ist supertoll und einfach traumhaft für mich. Ich tauche in dieses Idyll ein, schließe die Augen und höre mir ein paar Minuten das Wasserkonzert an. Warum wirkt dieses Rauschen anders als das von Straßenverkehr so beruhigend? Ich denke, es ist, weil man sich dann ein bisschen „zu Hause“ fühlt und sich der Vorstellung vom Paradies nähert.
Als ich die Augen öffne, drängt mich der Blick auf einen nahen Berg zum Weitergehen. Wohin wird mich der Weg wohl lenken? Er führt momentan immer am Fluss entlang. Ich komme an einem kleinen Wasserfall vorbei und dann macht der Weg genau wie das Flüsschen eine starke Wende nach links. Ich folge dem Weg, da man den Fluss ohnehin nur mit guten Gummistiefeln überqueren kann. Nun komme ich zu einem See, dessen Abfluss das besagte Flüsschen ist. Der See heißt Tenlefjorden und besitzt sogar ein paar kleine Inseln. Der Pfad führt nun ein Stück am See entlang und biegt dann wieder nach links um einen kleinen Berg herum ab. Ich beschließe, den Aufstieg zu wagen und suche nach einer Möglichkeit hinauf zu kommen. Dann bin ich auf dem Gipfel und freue mich über die schöne Aussicht. Nun kann ich den See überblicken und sehe einige weitere Berge in der Ferne. Wie ich der Karte entnehmen kann, ist der Gipfel 1192 m hoch. Als ich meine Wasserflasche öffne, um etwas von dem gestern frisch am Vettisfossen abgefüllten Wasser zu trinken, summt meine Flasche eine Melodie, na ja eigentlich ist es der Wind, der über den Flaschenrand streicht und die Töne hervorbringt. Es hört sich aber schön an.
Hinter dem gegenüberliegenden Bergmassiv scheint es zu regnen. Ich habe Sonnenschein und ein paar Wolken. Allerdings ist der Wind kälter geworden. Da es fast 14:00 Uhr ist, werde ich den Rückweg antreten. Ich gehe den Berg wieder hinunter und suche den Weg. Eigentlich müsste ich auf ihn stoßen. Ich schaue mich um und meine, ihn zu erkennen. Als ich aber dort eintreffe, stelle ich fest, dass ich mich getäuscht habe. Da ist kein Weg. In einigen Metern Entfernung entdecke ich eine Wegemarkierung und gehe darauf zu. Das heißt, ich versuche es, denn ein Sumpf versperrt mir den Zugang. Also wieder zurück. Das Laufen auf dem moosigen Untergrund ist angenehm weich. Ich versuche möglichst auf keine Blume zu treten. Dann finde ich endlich den Pfad. Ich folge ihm und er bringt mich wieder zum Fluss. Ich bin so fasziniert von den Wasserspielen, dass ich leider den richtigen Abzweig zu den Hütten verpasse. Ich kann die Straße zwar sehen, aber da gibt es einen Graben, der viel zu breit und zu tief ist, um hinüberspringen zu können. Also heißt es wiederum: zurück!
Gut, dass ich Zeit habe und mich niemand drängt. Der Umweg macht mir sogar Spaß. Kurze Zeit später bin ich auf der Straße. Nun fängt es leicht zu regnen an. Gut, dass ich meine Regenjacke und gegen den kalten Wind meine Mütze eingepackt habe. Iris hatte ja gesagt, dass hier alle Wege nach oben Bergtouren sind und auf Bergtouren soll man ja warme Kleidung mitnehmen. Doch dazu morgen mehr!
Kurz nach drei Uhr bin ich zurück. Nun dürfen sich meine Beine wieder entspannen.
Nachdem Karsten nach Hause gefahren ist, weil er morgen arbeiten muss, überlegen Iris und ich was wir morgen unternehmen wollen. Nachdem Iris den Wetterbericht abgefragt hat und der gutes Wetter bescheinigt, entschließen wir uns zur Sulebu Touristenhütte zu gehen, das Hochplateau zu queren und dann um den See, den ich gestern entdeckt hatte herum zu wandern und von da aus die Hüttenstraße zurück zu nehmen.