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Reisetrend Shopping: Lebensmitteleinkauf als touristischer Höhepunkt

Ein unerwarteter Höhepunkt der Reise

Ein leises Klicken ertönt, als die Kamera auf das Regal mit exotischen Chipsorten in einem japanischen 7-Eleven zoomt. „Ich kann mich nie entscheiden, aber das ist genau das, was ich liebe an Japan!“, ruft eine TikTok-Userin begeistert, während sie eine Packung Wasabi-Nüsse in ihren Einkaufskorb legt. Szenen wie diese gehen in sozialen Netzwerken viral – und sie zeigen, was sich zunehmend zu einem ernstzunehmenden Reisetrend entwickelt: der Besuch von Supermärkten als kulturelles Erlebnis. Der Lebensmitteleinkauf wird nicht nur zur praktischen Notwendigkeit, sondern zum Höhepunkt vieler Reisen. Der Trend hat einen Namen: „Grocery Store Tourism“.

Vom Ladenbesuch zum Kulturerlebnis

Was einst der Besuch von Museen, Kathedralen oder Strandpromenaden war, ist heute für viele Reisende der Gang in einen Supermarkt. Laut einem Expedia Travel Report 2025 besuchen 39 % der internationalen Reisenden während ihrer Reisen gezielt lokale Supermärkte oder Convenience-Stores, weil sie dort authentische Einblicke in die Kultur und Lebensweise der Einheimischen erwarten.

„In keinem Museum habe ich je so viel über eine Gesellschaft gelernt wie in einem Supermarkt“, sagt die amerikanische Reisebloggerin Megan White, die ihre kulinarischen Entdeckungen regelmäßig auf Instagram dokumentiert. Besonders die junge Generation – Gen Z und Millennials – treibt den Trend voran, stark beeinflusst durch virale TikTok-Videos und Instagram-Stories.

Social Media als Beschleuniger

Was vor einigen Jahren mit Food Hauls auf YouTube begann, hat sich in sozialen Netzwerken zu einem wahren Hype entwickelt. Der Begriff „Supermarket Tourism“ trendete 2024 auf TikTok. Reise-Influencer:innen wie @marissainchina oder @tokyotreats erreichen mit Supermarkt-Rundgängen Millionenpublikum. Die Videos zeigen kuriose Süßigkeiten, fremde Verpackungen, automatisierte Kassen und landestypische Fertiggerichte. Das Gefühl: Ein echter Einblick in den Alltag – auf unterhaltsame, niederschwellige Weise.

„Man entdeckt nicht nur neue Geschmacksrichtungen, sondern auch die kleinen Unterschiede des Alltags: von Lunchboxen für Kinder bis zu fermentierten Getränken, die bei uns völlig unbekannt sind“, sagt der Kulturwissenschaftler Dr. Henry Lüders, der an der Universität Köln zu Konsumkultur forscht.

Beispiele aus aller Welt

USA – Trader Joe’s und Erewhon als Lifestyle-Ziele

In Los Angeles werden hochwertige Supermärkte wie Erewhon regelrecht als Sehenswürdigkeiten gehandelt. Mit stilisiertem Design, Kurkuma-Smoothies für 18 Dollar und Hafermilch-Kollagen-Shakes sind sie der Inbegriff eines kulinarischen Lifestyles. „Das ist kein Supermarkt, das ist eine Wellness-Oase“, schreibt die „Nasdaq“ in einem Porträt über den Boom von Erewhon.

Japan – 7-Eleven als kulinarisches Wunder

In Japan erleben viele Reisende ihre erste echte „Essens-Epiphanie“ in einem Convenience Store. 7-Eleven bietet frisch zubereitete Onigiri, Bento-Boxen, Matcha-Desserts und Spezialitäten wie Melonpan oder Currybrot. Die japanische TikTokerin @megumieats erklärt: „7-Eleven ist ein Schatzkästchen. Alles ist frisch, günstig und total lecker.“ Für viele Touristen ist der erste Einkauf dort unvergesslich – und wird auf Instagram dokumentiert wie ein Ausflug zum Fuji.

Türkei – Der schwimmende Supermarkt

Einen besonderen Höhepunkt bietet die Ägäis: Auf beliebten Segelrouten legen Yachten bei einem schwimmenden Supermarkt an, der direkt auf dem Meer frische Waren verkauft – von frischem Brot bis Wassermelone. „Sie haben alles – wirklich alles“, so eine Urlauberin im viral gegangenen Video, das allein auf TikTok mehr als 2,5 Millionen Mal aufgerufen wurde.

Portugal – Time Out Market Lissabon

Ein Paradebeispiel für die Verschmelzung von Supermarkt und Erlebnisort ist der Time Out Market in Lissabon: Hier werden Lebensmittel, frisch zubereitete Speisen und gastronomische Highlights in historischer Markthallen-Atmosphäre angeboten. Touristen erleben die kulinarische Vielfalt Portugals direkt am Marktstand. Lokale Anbieter profitieren von der Aufmerksamkeit – ein Konzept, das auch in anderen Metropolen Schule macht.

Was Reisende motiviert

Warum aber ist der Lebensmitteleinkauf für viele mehr als eine bloße Notwendigkeit? Die Antworten sind vielfältig:

  • Neugier auf Neues: Der Begriff „Food Neophilia“ beschreibt die Lust, neue Lebensmittel auszuprobieren – besonders ausgeprägt bei jungen Erwachsenen.
  • Alltag hautnah: Der Supermarkt bietet Einblick in soziale, kulturelle und wirtschaftliche Realitäten eines Landes.
  • Mitbringsel statt Magnet: Lokale Snacks und Gewürze dienen als Souvenirs, die nicht kitschig, sondern persönlich sind.
  • Preisbewusstsein: Gerade in teuren Destinationen wie Island oder Norwegen sind Supermärkte eine günstige Alternative zum Restaurantbesuch.

„Einheimische Produkte sagen viel darüber aus, was ein Land liebt, produziert und wertschätzt – und das spürt man am stärksten beim Einkaufen“, betont Soziologin Dr. Elena Fischer.

Der Handel reagiert – und profitiert

Die Supermärkte haben den Trend erkannt und stellen sich zunehmend auf touristische Bedürfnisse ein:

  • Visuelle Warenpräsentation mit lokaler Symbolik (z. B. Regionalregale, Storytelling über Produkte)
  • Geführte Verkostungen oder Showcooking (z. B. bei Eataly in Mailand)
  • Mehrsprachige Beschriftungen und Informationen
  • Integration lokaler Startups und Manufakturen in das Sortiment

Eine Analyse von Retail Space Solutions empfiehlt Supermärkten, sich bewusst als Erlebnissorte zu inszenieren. „Grocery Stores sind heute Orte, an denen Kultur, Geschmack und Identität erlebt werden – Touristen sind die neuen Stammkunden“, so der Bericht.

Chancen und Herausforderungen

Der Trend bringt Chancen für Tourismus, lokale Produzenten und den Einzelhandel:

  • Steigerung der Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel
  • Wertschätzung lokaler kulinarischer Traditionen
  • Förderung kleiner Betriebe durch erhöhte Sichtbarkeit

Gleichzeitig wirft der Hype Fragen auf:

  • Nachhaltigkeit: Wie ökologisch ist der Lebensmittel-Transport als Souvenir?
  • Kultursensibilität: Werden kulturelle Eigenheiten touristisch verzerrt oder kommerzialisiert?
  • Grenzen der Mitnahme: Zollbestimmungen erschweren die Einfuhr bestimmter Waren.

„Wenn Touristen Chilisaucen aus Mexiko oder Fischkonserven aus Japan kaufen, fördern sie Vielfalt – solange sie respektvoll mit der Herkunft umgehen“, mahnt Ethnologe Dr. João Perreira von der Universität Lissabon.

Supermarkt als neue Sehenswürdigkeit

Was früher ein lästiger Zwischenstopp zwischen Sehenswürdigkeit und Restaurant war, ist heute für viele das eigentliche Highlight einer Reise. Der Supermarkt wird zum Schauplatz kultureller Entdeckungen, zur Inspirationsquelle, zum Ort der Verwunderung und Freude.

Ob in einem neonbeleuchteten 7-Eleven in Tokio, beim Flanieren durch die Markthalle in Lissabon oder beim Einkauf in einem Bioladen auf Bali – wer mit offenen Augen durch fremde Supermärkte geht, lernt ein Land auf besondere Weise kennen. Der Trend ist nicht nur ein modischer Hype, sondern Ausdruck eines veränderten Reiseverständnisses: Erlebnis statt Repräsentation, Authentizität statt Andenken. Oder, wie es die TikTok-Nutzerin @foodiefromafar sagt: „Ich reise, um zu essen – und Supermärkte sind meine Museen.“

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